Animal Hoarding
Das massenhafte „Sammeln“ von Tieren – auch animal hoarding genannt – ist in Fachkreisen schon länger als krankhafte Störung anerkannt. Über Ursachen und Zusammenhänge ist noch nicht viel bekannt. Die Betroffenen sehen sich selbst als Tierliebhaber, meist sogar als Tierschützer, dabei fehlt ihnen die Einsicht in ihr Verhalten fast immer. Oft kann ihnen erst geholfen werden, wenn es für die Tiere schon zu spät ist. Selbst dann aber geschehen Maßnahmen meist gegen ihren Willen, denn sie sehen sich als Opfer und Helfer zugleich. In Europa ist das Phänomen des „animal hoarding“, also des krankhaften und vor allem unkontrollierten Haltens und Vermehrens von Tieren, noch weitgehend unerforscht. In den USA gibt es jedoch seit Mitte der 90er Jahre Untersuchungen und Beobachtungen einer Arbeitsgruppe aus Tierärzten, Ärzten, Psychologen und Juristen, deren Ergebnisse sich auch an in Deutschland auffällig gewordenen Tierhaltern belegen lassen: Meist beginnt die traurige „Karriere“ eines Animal Hoarders mit wenigen Tieren, die sich unkontrolliert vermehren und deren Zahl dem Halter früher oder später schlicht über den Kopf wächst. Ursache für den Verlust der Kontrolle scheint oft die Angst vor sozialer Isolation und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu sein, vielfach wird in den Tieren eine Art Ersatzfamilie gesehen. Wenn die Zahl der Tiere aber die Fähigkeit des Halters übersteigt, hygienische und tierärztliche Mindeststandards einzuhalten, sprechen Fachleute vom Animal-Hoarding-Syndrom.
Ähnlich wie den so genannten Messies gelingt es den Betroffenen oft über sehr lange Zeit, Schutz in der Anonymität zu suchen. Steigt irgendwann der Druck von Nachbarn oder zuständigen Behörden, verspricht ein Umzug aufgrund der regional beschränkten Zuständigkeit von Veterinärämtern weiteres Ungestörtsein. An die oft überraschte Öffentlichkeit kommen die meisten Fälle erst, wenn das Leiden der vielfach sich selbst überlassenen Tiere nicht mehr zu übersehen ist. Alleine in den letzten Jahren gab es mehrere Fälle von Animal Hoarding, die aufgrund ihrer Spektakularität in den Medien Aufmerksamkeit fanden: Ende des letzten Jahres wurden in einer mit Vogeldreck übersäten Berliner Zweizimmer-Wohnung mehr als 1.700 Wellensittiche gefunden. Ihr Besitzer, ein arbeitsloser Bauingenieur, gab sich als Tierfreund aus und glaubte, für seine Tiere sorgen zu können. Dass er sich hoffnungslos über- und den Ernst der Lage unterschätzt hatte, zeigte seine Vermutung, „etwa 500 Vögel“ in der Wohnung zu haben. Obwohl die Stadt ihm gegenüber ein Tierhaltungsverbot ausgesprochen hat, fanden sich Tierschützern zufolge zu Beginn des Jahres erneute Anzeichen, die auf Vögel in der Wohnung hinweisen sollen. In zwei weiteren Fällen waren Hunde die Leidtragenden; neben Katzen die mit Abstand größte von unkontrollierter Sammelhaltung betroffene Art. Im brandenburgischen Hohengörsdorf wurde auf Druck von Nachbarn und Tierschützern ein Teil einer Huskyzucht vom Veterinäramt beschlagnahmt. Ihre Besitzer hatten sich abgeschottet und Huskys zur Verwendung als Schlittenhunde gezüchtet; die Lizenz hierfür hatten sie wegen skandalöser Haltungsbedingungen allerdings schon längst verloren. Mitarbeitern von Veterinäramt und Tierheim boten sich schlimme Bilder, wie sie für Animal Hoarding typisch sind: Mehr als 15 Hunde waren auf einem nur 50 m² großen, nicht überdachten Grundstück eingepfercht. Knöcheltiefer, nach Urin und Kot stinkender Morast und überall herumliegendes Gerümpel zeigten die Vernachlässigung deutlich. Alle beschlagnahmten Tiere waren krank; sie litten unter Nasenrissen, vereiterten Bisswunden, Fieber sowie Milben und Pilzbefall. Noch schlimmere Zustände fanden Feuerwehr, Polizei und Tierretter bei der Räumung eines ebenfalls in Brandenburg liegenden heruntergekommenen Gehöftes bei Liebenwalde: Fast 250 Hunde hielt eine 62-Jährige auf einem Gelände, das aus einem Horrorfilm stammen könnte. Zwischen Autowracks, Bau- und Wohnwagen sowie Containern ist der Boden übersät mit Gerippen jeglicher Herkunft, im unbewohnten Haus findet sich das Skelett einer ganzen Kuh. Tote Hunde und Katzen, Ratten, angelockt durch Fleischreste an Pferde- und Rinderköpfen – diese Überreste der Fütterung des völlig verwilderten Hunderudels weisen auf die Überforderung der Halterin hin. Schutz suchend haben sich einige Hunde in Erdlöchern versteckt, bei der Befreiungsaktion mussten Feuerwehrmitarbeiter in Löcher kriechen und die Tiere herausziehen.
Auch jene Halterin passt in das typische krankhafte Bild: Anfangs verstand sie sich als Helferin für alte und kranke Hunde, die ihr Gnadenbrot auf dem Hof bekommen sollten. Die Hunde aber haben sich so stark vermehrt, dass sie in ihrem eigenen Haus nicht mehr leben kann: Die 62-Jährige bewohnt einen Campingwagen auf dem Gelände. Als sie bei der Zwangsräumung mit Selbstmord drohte, wurde sie umgehend in einer psychiatrischen Betreuung untergebracht. Mittlerweile lebt sie wieder auf dem Hof – ohne Hunde, aber auch ohne Einsicht in ihr Verhalten. Wie wichtig die psychologisch-therapeutische Betreuung der Betroffenen nach einer Wegnahme der Tiere ist, zeigt die Rückfallquote in alte Verhaltensmuster von fast 100 % bei Nicht-Behandlung. So fordern Tierschützer eine zwangsmäßige Verordnung von Tierhaltungs- und Umgangsverboten bei entdeckten Fällen von Animal Hoarding, außerdem eine bundesweite Vernetzung der zuständigen Behörden. So soll erreicht werden, dass den Veterinärämtern nicht mehr durch Wegzug entkommen werden und ein Fall von Animal Hoarding damit so früh wie möglich erkannt werden kann. Bisher können Amtsveterinäre erst einschreiten, wenn es für viele Tiere bereits zu spät ist, eine zentrale Erfassung von Tierhaltungsverboten könnte ein erster Schritt sein. Vor allem aber sollte die Forschung vorangetrieben werden, um dem Ursprung dieser Störung weiter auf die Spur zu kommen und entstehende Verhaltensweisen frühzeitig bekämpfen zu können. Um diesem Ziel näher zu kommen, sind auch die Gesellschaft und damit jeder Einzelne gefragt. Im Fall der 62-jährigen Hundehalterin aus Brandenburg haben Recherchen ergeben, dass viele der Personen in ihrem Umfeld um die katastrophalen Zustände auf dem Hofe der vereinsamten Frau wussten – eingeschritten aber ist niemand. Als die Behörden endlich eingriffen, waren einige Tiere bereits in so schlechter Verfassung, dass sie an Ort und Stelle eingeschläfert werden mussten.
Was ist Animal Hoarding? Fast immer bezeichnen sich »Animal Hoarder« als Tierfreunde und Tierschützer. Eine Sammel-Sucht beginnt oft mit der Aufnahme von wenigen Tieren, irgendwann wächst die Zahl der Tiere ins Unermessliche. Unter schlimmsten hygienischen Bedingungen, unterernährt und ohne medizinische Versorgung leben mitunter mehrere hundert Tiere auf kleinstem Raum mit ihrem »Halter«. Besonders oft betroffen sind Kleintiere, Nager, aber auch Hunde, Katzen und Vögel. Meist dauert es Jahre, bis eine solche »Sammlung« entdeckt wird – die Sammler sind oft schnell überfordert mit ihren Tieren, können die Missstände aber nicht mehr selbständig erkennen oder beseitigen. Wenn Nachbarn irgendwann, durch Gerüche oder Lärm alarmiert, Polizei oder Veterinäramt einschalten, bietet sich häufig ein Bild vollkommener Verwahrlosung der Tiere.
Was ist ein Tierhalteverbot? Gegen wen ein Tierhaltungsverbot ausgesprochen wurde, darf kein Tier mehr auf seinen Namen anmelden. Dieses Verbot wird unterschieden in privates und berufliches Verbot, es wird meistens befristet ausgesprochen, z.B. für drei oder fünf Jahre. Zu unterscheiden ist es auch von einem so genannten Tierumgangsverbot, was einen Kontakt mit Tieren erst schlussendlich ausschließt.